Nur: Was genau soll da eigentlich gekennzeichnet werden?
Meine Bilder sind alle manipuliert. Jedes einzelne. Schon immer gewesen. In den späten 1990ern habe ich mit dem Stempel-Werkzeug in Photoshop Hautunreinheiten wegretuschiert, heute erledigt das ein "intelligenter" Radierer. Der entscheidet selbst, ob er mit Autofill oder Generative Fill arbeitet. Ich male mit meinem Zeichentablett über einen störenden Bereich, das Tool macht den Rest. Ist das jetzt KI? Vermutlich. Muss ich das kennzeichnen? Keine Ahnung.
Ich entferne Pickel, blaue Flecken, Besenreißer, Cellulite. Fast immer auch Muttermale (Cindy Crawford hätte eine Ausnahme bekommen). Das sind die Schönheitsstandards meiner Branche. Die habe ich mir nicht ausgedacht, ich befolge sie. Ich tue das nicht gerne, denn es wäre für meinen Arbeitsablauf einfacher, Fotos direkt aus der Kamera zu verwenden. Aber so funktioniert das Geschäft nicht, und ehrlich gesagt entspricht es auch meinem eigenen ästhetischen Empfinden. Schönheit zu feiern.
Dabei geht es mir ausschließlich um das Entfernen störender Elemente. Ich optimiere das Modell nicht. Die Person bleibt die Hauptfigur, ihre Körpermerkmale bleiben unverändert. Keine längeren Beine, keine neue Frisur, keine aufgeblasenen Lippen, keine veränderten Wangenknochen, keine schmalere Taille, keine größeren Brüste. All das wäre heute mit KI-Tools möglich. Ich könnte Menschen komplett umbauen, wenn ich wollte. Mache ich aber nicht. Der Zeitaufwand wäre bei ganzen Bildstrecken sowieso absurd. Aber ich hätte auch gar kein Interesse daran.
Trotzdem manipuliere ich. Die Frage ist nur: Wo fängt Manipulation an?
Jedes Smartphone manipuliert heute automatisch. Computational Photography heißt das. HDR-Algorithmen, Nachtmodus, Porträteffekte — alles Software, die interpretiert, entscheidet, verändert. Niemand fotografiert mehr "direkt". Das gibt es nicht. Selbst bei einer analogen Kamera entscheidet der Film über Korn, Farbgebung und Kontrast, die Belichtung über Stimmung, der Entwicklungsprozess über das finale Ergebnis.
Was ist überhaupt ein "wahres" Bild?
Im journalistischen, dokumentarischen Kontext sollte der Einsatz von KI minimal sein. Da geht es um Glaubwürdigkeit, um Fakten, um Wirklichkeit (so weit es sie gibt). Aber in der kommerziellen Fotografie, in der Kunst? Da war Manipulation schon immer Teil des Handwerks.
Die Kennzeichnungspflicht soll verhindern, dass Menschen getäuscht werden. Das Ziel ist richtig. Aber die Umsetzung ist kompliziert. Soll ich jedes Bild mit einem Hinweis versehen: "Achtung, hier wurden Pickel entfernt"? Wird das irgendwen überraschen? Glaubt ernsthaft jemand, dass die Bilder in Magazinen oder Werbekampagnen unbearbeitet sind?
Vielleicht liegt das Problem tiefer. Vielleicht geht es nicht um die Kennzeichnung, sondern um unsere Erwartungen. Wir wissen, dass Bilder manipuliert sind, tun aber so, als wären sie echt. Wir sehen perfekte Körper und makellose Haut und vergleichen sie mit uns selbst, obwohl wir eigentlich wissen, dass dort nachgeholfen wurde.
Ich fürchte, dass es nur dazu führt, dass wir noch mehr Label haben, die niemand liest. Wie Datenschutzerklärungen und Cookie-Banner.
Ich befinde mich in einer Grauzone. Wenn ich Bilder kennzeichne, wird ein merkwürdiger Eindruck entstehen. Ich füge nichts hinzu, ich entferne nur. Den Touristen, der partout nicht aus dem Bild gehen wollte und am Strand unbedingt zuschauen musste. Die Steckdosenleiste, die so penetrant vom Motiv ablenkte. Und dann schreibe ich darunter: "Mit KI bearbeitet."
Was denken die Leute dann? Dass das Foto nicht echt ist? Dass ich das Modell komplett neu erschaffen habe? Dass nichts davon stimmt? Dabei habe ich nur aufgeräumt, was die Realität an Störendem mitgebracht hat. Das ist der Unterschied zwischen einem bearbeiteten Bild und einem generierten Bild. Aber wie wird diese Nuance in der Kennzeichnung erkennbar sein?
Es gibt so viele Fragen. Wie genau sieht diese Kennzeichnung überhaupt aus? Ein Text unter dem Bild? Ein Icon? Wasserzeichen? Metadaten, die niemand liest oder die bei einem Upload auf Social Media entfernt werden?
Brauchen wir wirklich noch mehr Regeln?
Vielleicht sollten wir einfach akzeptieren, dass jedes Bild eine Interpretation ist. Dass Fotografie immer schon Konstruktion war, nie reine Abbildung. Die Wahrheit ist ohnehin das, was nach all den Bearbeitungsschritten übrig bleibt. Und die war schon immer subjektiv.
P.S. Das Titelbild zu diesem Artikel ist keine Fotografie. Es wurde zu 100% mit der Nano Banana KI generiert.
Nachtrag
Obwohl das neue EU-Gesetz primär auf Deepfakes abzielt und berechtigte Zweifel bestehen, ob sich böswillige Akteure daran halten werden, habe ich die Kennzeichnungspflicht gewissenhaft umgesetzt. In den wenigen Fällen, in denen ich KI-generierte Inhalte verwende — etwa bei rund 1% meiner Blog-Artikel-Fotos — habe ich die entsprechende Kennzeichnung vorgenommen.
