Die Sucht nach dem Anderswo

Die Sucht nach dem Anderswo

Reisen ist schon immer eine Sehnsucht gewesen. Im Schloss in Schwetzingen gibt es ein Bauwerk, es ist ein langer Schattengang und dahinter blickt man ans "Ende der Welt". Als Kind fand ich diese Installation besonders. Sie hatte etwas Verlockendes, etwas, das mich in die Ferne zog. Weg von der Enge des Alltags, hin zu neuen Horizonten.

Lesezeit: 2 Min.

Und auch hunderte Jahre später ist für uns das Reisen eine Faszination. Vielleicht eine etwas überbewertete. Denn die Bahn hat viel Verspätung und begründet diese gerne mit "Verzögerungen im Betriebsablauf". Was ist das bitte für eine Ent­schuldi­gung? Ich bin zu spät, weil ich zu spät bin? Das ist ja wie: "Ich habe zugenommen, weil ich dicker geworden bin."

Im Verkehrsfunk wird der Stau mit Zeitverlust benannt. Zeitverlust von 30 Minuten. Auch eine komische Formulierung. Kann man Zeit verlieren? Ist Zeit nicht per Defini­tion immer gleich getak­tet? Philosophische Fra­gen, die mir durch den Kopf gehen, während ich im Stau stehe und darauf warte, dass sich die Blech­lawine wieder in Bewegung setzt.

Am Flughafen drängeln sich die Urlaubs­reisenden. Die Sommer­ferien­zeit ist lang, denn jedes Bundes­land hat eigene Regeln. Wenn in Bayern Sommer­ferien sind, fangen woanders schon fast die Herbst­ferien an. Ein Flicken­teppich aus Ferien­terminen, der sich über die ganze Republik erstreckt.

Und dazu kostet ein kleiner Kaffee am Frankfurter Flughafen 7,39 €. Sieben-Euro-Neununddreißig. Für einen Pappbecher mit braunem Warmwasser. Irre, oder? Aber vielleicht ist das der Preis für unsere Rastlosigkeit. Der Tribut, den wir zahlen, um unsere Sehnsucht nach dem Anderswo zu stillen.

Man sollte meinen, die Sommerzeit sei für mich als Fotograf die beste Reisezeit. Endlich viel Licht und endlich warm genug für meine Aktmodelle. Aber falsch gedacht. Ich muss mit dem Reisen warten, bis die Urlauber die Strände wieder freiräumen.

In der Hauptsaison ist alles so überfüllt, dass ich im Freien nicht anständig fotografieren kann.

Irgendwie auch blöd. Aber daran habe ich mich gewöhnt. Es ist Teil des Spiels, Teil des ewigen Kreislaufs des Reisens.

Die Sehnsucht nach anderen Orten ist komisch: Was für dich alltäglich ist, ist für andere besonders — und andersherum.

Wenn der letzte seinen Sonnenbrand daheim auskuriert, heißt es für mich: Auf zu neuen Abenteuern. Auf in den Wahnsinn des Reisens. Immer in der Hoffnung, dass es woanders besser ist als hier. Aber vielleicht ist das auch eine Illusion. Vielleicht ist das Besondere, das wir suchen, gar nicht an einem bestimmten Ort. Vielleicht liegt es in uns selbst, in unserer Art, die Welt zu sehen.

Und vielleicht, nur vielleicht, finden wir es eines Tages. Irgendwo zwischen Hier und Dort, zwischen Aufbruch und Ankunft.

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