Wenn KI Dir Dein Gesicht klaut

Wenn KI Dir Dein Gesicht klaut

Neulich schaute ich in den Spiegel und erschrak furchtbar. Nicht etwa, weil ich besonders schlimm aussah — nein, weil ich völlig normal aussah. Keine makellose Haut wie aus Porzellan. Keine Augen, die wie handpolierte Murmeln glänzten. Und sogar ein paar Fältchen, die davon zeugten, dass ich in meinem Leben schon das eine oder andere Mal gelacht hatte.

Lesezeit: 3 Min.

Schuld an diesem Schock war meine kurze, aber intensive Begegnung mit Facetune, jener App, die uns allen verspricht, dass wir aussehen können wie die perfekten Menschen, die es gar nicht gibt. Sie wissen schon — diese mysteriösen Wesen auf Instagram, bei denen man nie ganz sicher ist, ob sie in Tel Aviv, Tokyo oder doch eher in einem Rechenzentrum geboren wurden.

Die Geschichte von Facetune ist dabei so bizarr wie bezeichnend für unsere Zeit: 2013 von einem israelischen Unternehmen entwickelt, sollte die App ur­sprüng­lich einfach nur dabei helfen, Selfies ein bisschen auf­zu­hübschen. Sie wissen schon — hier ein Pickel­chen weg, da ein bisschen Belichtung korrigieren. Harmlos, eigentlich.

Aber dann kam die künstliche Intelligenz ins Spiel, und plötzlich wurde aus dem digitalen Make-up-Köfferchen eine Art Gesichts-Transformator. Die neueste Version der App verspricht uns allen, wir könnten aussehen wie KI-generierte Super­models. In Echtzeit! Während eines Video­calls! Was früher Holly­wood und seinen Spezial­effekten vorbe­halten war, kann jetzt jeder Teenager auf seinem Smartphone.

Verstehen Sie mich nicht falsch — ich bin kein Technik-Pessimist. Aber wenn mir eine App verspricht, dass sie mein Gesicht so bearbeiten kann, dass es aussieht wie ein von KI generiertes Gesicht, das wiederum auf den bearbeiteten Gesichtern echter Menschen basiert … nun, dann wird mir ein bisschen schwindelig.

Das ist wie eine Katze, die ihrem eigenen Schwanz hinterherjagt, nur dass es dabei um unser aller Selbstbild geht.

Besonders interessant wird es, wenn man bedenkt, dass wir mittlerweile in einer Welt leben, in der Menschen ihre Gesichter nach Vorbildern optimieren, die es gar nicht gibt. Die KI generiert makellose Gesichter, die Menschen versuchen, diesen Standard zu erreichen, und die KI lernt wiederum von diesen bearbeiteten Bildern. Ein perfekter Kreislauf der Künstlichkeit.

Das Ergebnis? Eine Generation, die sich unwohl fühlt, wenn sie einfach nur … normal aussieht. "Filter-Dysmorphie" nennen Experten das Phänomen, wenn Menschen ihr ungefiltertes Spiegelbild nicht mehr ertragen können. Dabei ist es doch gerade das Unperfekte, das uns menschlich macht. Unsere kleinen Macken, die Lachfältchen, die verschmitzte Asym­metrie eines echten Lächelns.

Vielleicht sollten wir eine neue App entwickeln. Eine, die unsere gefilterten Gesichter wieder vermenschlicht. Die künstlich ein paar Fältchen hinzufügt, die Haut nicht ganz so porzellanglatt erscheinen lässt, die Augen ein kleines bisschen weniger perfekt macht. Wir könnten sie "RealMe" nennen. Oder besser noch: einfach mal das Smartphone beiseite legen und in einen echten Spiegel schauen.

Aber bitte erschrecken Sie nicht zu sehr, wenn Sie dabei ein echtes Gesicht sehen. Das ist völlig normal. Noch.

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