Der Allgegenwärtige

Der Allgegenwärtige

Und da stand ich wieder mit der Kamera im Schrebergarten. Das Model saß auf diesem weißen Plastikstuhl, Sie wissen schon, diesem einen, der überall ist. Während ich durch den Sucher schaute, hatte ich eine dieser Erkenntnisse, die einen kurz innehalten lassen: Dieser Stuhl verfolgt mich. Er ist immer da. Auf jedem Balkon in Mallorca, in jeder Kleingartenparzelle von München-Moosach, vor vielen Cafés in Marseille.

Lesezeit: 2 Min.

Wie ein treuer Begleiter der Menschheit steht er herum, dieser schlichte weiße Plastik­stuhl, der auf den Namen "Monobloc" hört. Wobei seinen Namen die wenigsten kennen. Er ist wie dieser eine Typ aus der Nachbarschaft, den man seit 20 Jahren grüßt, aber dessen Namen man nie erfragt hat, weil es irgend­wann zu spät dafür war.

Der Monobloc ist der demokratischste aller Stühle. Er kostet so viel wie zwei Cappuccino, wiegt weniger als ein Sixpack Wasser und ist stabiler als so manche Ehe. In den 1970er Jahren wurde er erfunden, als jemand auf die geniale Idee kam, einen kompletten Stuhl aus einem einzigen Guss Polypropylen herzustellen.

Seitdem hat er sich vermehrt wie die Karnickel. Experten schätzen, dass es weltweit über eine Milliarde dieser Stühle gibt. Eine Milliarde!

Würde man alle Monoblocs der Welt übereinander­stapeln, könnte man damit theoretisch bis zum Mond und zurück kommen. Diese Rechnung stimmt vermutlich nicht, aber sie klingt gut, oder?

Was mich am meisten fasziniert: Der Monobloc ist ein Chamäleon der Bedeutungen. In deutschen Schreber­gärten ist er der Inbegriff spießiger Gemütlichkeit. Auf der Terrasse eines französischen Bistros wird er plötzlich zum Zeugen philo­sophischer Gespräche bei Rotwein und Gauloises. Auf meinen Fotos verwandelt er sich mal in einen prominenten Neben­darsteller, mal in eine zeitlose Skulptur.

Blau angepinselt

Designkritiker rümpfen gerne die Nase über ihn. Zu banal, zu billig, zu… Plastik. Aber genau das macht ihn aus. Er ist der Anti-Star unter den Möbeln, der sich einen feuchten Kehricht um Design­preise schert. Während sich in Manufactum-Katalogen Esszimmer­stühle für den Gegenwert eines Gebraucht­wagens spreizen, sitzt der Monobloc entspannt in der Ecke und denkt sich: "Hauptsache praktisch."

In Zeiten, in denen jedes Möbelstück eine Statement sein soll, in denen Menschen sich über die Herkunft ihrer Küchen­stühle definieren, ist der Monobloc erfrischend charakter­los. Er ist einfach da. Ein stiller Diener der Sitz­bedürftigen dieser Welt.

Das nächste Mal, wenn Sie einen weißen Plastik­stuhl sehen, halten Sie kurz inne. Würdigen Sie diesen unter­schätzten Helden des Alltags. Er wird auch dann noch da sein, wenn der letzte skandinavische Designer-Schemel längst auf dem Müll gelandet ist. Verlässlich, bescheiden, zeitlos. Wie ein alter Freund, dessen Namen wir nie kannten.

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