Die Puppenmütter von Instagram

Die Puppenmütter von Instagram

Neulich saß ich mit Alina beim Fotoshooting, als sie mir eine Geschichte erzählte, die so bizarr ist, dass sie nur aus dem Internet stammen kann. Dort, wo Menschen tagein, tagaus versuchen, die Grenzen des guten Geschmacks neu zu definieren.

Lesezeit: 3 Min.

"Die stillen Puppen", sagte sie beiläufig, während sie ihr T-Shirt wechselte. Ich dachte zunächst an eine Netflix-Serie und verstand nicht recht, was sie mir sagen wollte.

Was Alina mir da zwischen zwei Schlucken bereits kalt gewordenen Kaffees berichtete, war Folgendes: Auf Instagram gibt es Frauen — nennen wir sie der Einfachheit halber "die Puppen­mütter" — die haben ein kleines Problem. Sie möchten gerne ihre Brüste zeigen (aus künst­lerischen Gründen, versteht sich), dürfen das aber nicht. Instagram, dieser große digitale Tugend­wächter, löscht nämlich schneller nackte Brust­warzen, als man "OnlyFans" sagen kann.

Nun könnte man denken: Pech gehabt. Aber die Evolution hat uns Menschen nicht umsonst mit einem über­großen Gehirn ausge­stattet. Und so kam irgend­jemandem — vermutlich während einer schlaf­losen Nacht oder nach dem dritten Gin Tonic — die Erleuchtung: Babys! Beziehungs­weise: Plastikbabys!

Diese Reborn Babies, von denen Alina spricht, sind ein Kapitel für sich. Es sind Puppen, die so echt aussehen, dass selbst meine Mutter sie zunächst für echte Säug­linge halten würde. Und meine Mutter hat immer­hin drei Kinder groß­gezogen. Die Dinger kosten auf Etsy etwa so viel wie ein anständiger Anzug bei C&A.

Jedenfalls entwickelte sich daraus ein faszi­nierendes Katz-und-Maus-Spiel mit den Instagram-Algorithmen. Die künst­liche Intelligenz stand nun vor einem Problem, das selbst Kant ins Grübeln gebracht hätte: Wenn eine Frau vorgibt, eine Puppe zu stillen, die aussieht wie ein echtes Baby — ist das dann eine stillende Mutter (erlaubt) oder eine leicht bekleidete Dame (verboten)?

Während die Server noch rauchten, florierte das Geschäft. Die "Stillenden" verlinkten fleißig ihre OnlyFans-Profile, und die Zuschauer… nun ja, die Zuschauer taten, was auch immer Zuschauer so tun, wenn sie eine Frau sehen, die vorgibt, eine Puppe zu stillen.

Das Ende der Geschichte ist so erwartbar wie ein "Tatort" am Sonntag­abend: Irgendwann fiel bei Instagram der Groschen. Vermutlich, als ein Praktikant während seiner Mittags­pause durch seinen Feed scrollte und sich an seinem Quinoa-Sandwich verschluckte.

Sie haben vermutlich längst auf den Kalender geschaut und festgestellt: Heute ist der 1. April. Und jetzt erwarten Sie wahr­scheinlich das übliche 'April, April!', gefolgt von einem Augen­zwinkern und der Aufklärung, dass diese Geschichte natür­lich frei erfunden ist. Aber genau das kommt nicht.

Denn manchmal ist die Realität so absurd, dass sie selbst die kreativsten April­scherze in den Schatten stellt. Diese Geschichte ist zu hundert Prozent wahr. Irre, oder? Vielleicht sollten wir uns das nächste Mal, wenn uns etwas zu verrückt erscheint, daran erinnern: Im Internet ist jeden Tag ein bisschen 1. April.

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