Die neue Prüderie: Wenn Buchhandlungen Kunst zensieren

Die neue Prüderie: Wenn Buchhandlungen Kunst zensieren

Der Buchhandel erlebt derzeit eine bemerkenswerte Transformation. Allerdings nicht zum Besseren. Während soziale Medien von bearbeiteten Körperbildern überquellen, verschwinden kunstvolle Aktfotografie-Bildbände still und leise aus den Regalen.

Lesezeit: 3 Min.

Manchmal ist Schweigen die deutlichste Antwort. Wieder eine Mail an eine Buchhandlung, die unbeantwortet im digitalen Nichts verschwindet. Keine Absage, keine Erklärung — einfach Stille. Ab und zu kommt eine knappe Antwort: Man müsse heute "diverser" aufgestellt sein. Ich schmunzle bitter. Diversity ist wichtig — aber bedeutet sie nicht eigentlich Vielfalt statt Ausgrenzung?

Eigentlich sollten Buchhandlungen Brückenbauer sein. Verbindungsglieder zwischen Kunst und Interessierten, zwischen Kreativität und Neugier.

Doch diese Brücken werden zunehmend einspurig. Was nicht in das eng gestrickte Raster zeitgenössischer Moralvorstellungen passt, wird aussortiert — durch Schweigen oder, wenn überhaupt, freundlich, aber bestimmt.

Sie denken jetzt vielleicht: "Das ist doch übertrieben!" Dann lassen Sie uns gemeinsam durch Frankfurt flanieren. Im ehrwürdigen Hugendubel an der Hauptwache erleben Sie mittlerweile eine Art kulturelle Schnitzeljagd: Zwischen Glitzer­kugel­schreibern und Tür­stoppern in Plüschtier­optik verstecken sich Bücher wie Oster­eier. Thematische Ordnung war gestern, Bazar ist heute.

Bei Walther König an der Klein­markthalle finden Sie immerhin noch Kunstbände. Allen voran Helmut Newton, der seit über einem Jahr­zehnt stoisch aus dem Schau­fenster blickt.

Und wussten Sie, dass sich im Obergeschoss des Leica-Stores eine der faszinierendsten Fotobuch-Sammlungen der Stadt verbirgt? Vermutlich nicht. Denn unten stehen Herren in makel­losen Anzügen vor Vitrinen mit Kameras, die Ihren Konto­stand zum Schwitzen bringen — als wäre der Zutritt zur Bilder­welt im ersten Stock nur mit Platin-Mitgliedschaft gestattet.

Apropos Bilderwelten: Meine eigenen Arbeiten folgen einem anderen Ansatz. Sie sind bewusst reduziert, verzichten auf effekthaschende Posen und künstliche Dramatik. Was zählt, ist der Dialog zwischen Frau und Umgebung, zwischen Lebendigkeit und Sinnlichkeit.

Doch genau diese Einfachheit wird oft missverstanden — als sei Reduktion gleich­bedeutend mit Ober­fläch­lichkeit, als bräuchte echte Kunst kompli­zierte Erklärungen oder politische Recht­fertigungen. Als sei Erotik verboten.

Ein befreundeter Galerist meinte kürzlich: "Früher mussten wir unsere Kunst vor den Konser­vativen verteidigen. Heute vor den ver­meintlich Progressiven." Er hat recht. Aber die neuen Gate­keeper der Kultur kommen nicht mehr mit erhobenem Zeige­finger, sondern mit einer Verbotskeule.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Gesellschaftliche Weiterentwicklung ist wichtig. Aber muss sie mit kultureller Selbstzensur einhergehen? Kunst lebt von der Auseinandersetzung, vom Dialog, von unterschiedlichen Perspektiven.

Wenn wir anfangen, sie nach ihrer vermeintlichen politischen Korrektheit zu sortieren, verliert sie ihre wichtigste Eigenschaft: die Fähigkeit, zum Nachdenken anzuregen.

Die Lösung? Vielleicht brauchen wir weniger Schubladen und mehr offene Regale. Weniger vorauseilenden Gehorsam und mehr echte Auseinandersetzung.

Vor allem aber brauchen wir den Mut, Kunst auch dann zu zeigen, wenn sie nicht jedem gefällt. Denn eines ist sicher: Eine Kultur, die sich selbst zensiert, verliert am Ende mehr als nur ein paar Bücher aus den Regalen.

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