Langeweile: Der vergessene Schlüssel zur Kreativität

Langeweile: Der vergessene Schlüssel zur Kreativität

In unserer schnelllebigen, digitalisierten Welt scheint Langeweile ein Relikt aus vergangenen Zeiten zu sein. Doch was wir als lästig empfinden, könnte in Wirklichkeit der Schlüssel zu unserer Kreativität sein.

Lesezeit: 4 Min.

Erinnerst du dich an deine Kindheit? An diese Momente, in denen man scheinbar nichts zu tun hatte? Genau in diesen Momenten der Langeweile begannen unsere Gedanken zu schweifen, und plötzlich tauchten die fantastischsten Ideen auf. Wie aus dem Nichts erschufen wir ganze Welten, erfanden Geschichten oder fanden Lösungen für Probleme, die zuvor unlösbar schienen. Vielleicht war es nicht ganz so spektakulär, aber an einen Moment erinnere ich mich noch heute.

Als Kind saß ich einmal in unserem Garten und beobachtete einfach, was im Gras vor sich ging. Ich beobachtete die krabbelnden Insekten und entdeckte immer wieder etwas Neues. Bei dieser so banalen Tätigkeit wurde mein bewusstes Sehen gefördert, und ich lernte, Details wertzuschätzen.

Brutalistische Leere

Heute jedoch greifen wir in solchen Momenten reflexartig zum Smartphone. Kaum spüren wir den Hauch von Langeweile, scrollen wir durch soziale Medien, checken Nachrichten oder spielen ein schnelles Spiel. Diese ständige Ablenkung raubt uns die Möglichkeit, unseren Geist schweifen zu lassen und kreativ zu werden.

Heutzutage haben wir verlernt, Langeweile auszuhalten und zu nutzen. Dabei ist sie nicht nur ein fruchtbarer Nährboden für Innovation und Selbstreflexion, sondern auch eine notwendige Pause in unserem reizüberfluteten Alltag. In der Stille und scheinbaren Leere entstehen oft Ideen (ich will nicht behaupten, dass es automatisch die besten sein müssen) und gleichzeitig gibt sie unserem Gehirn die Chance, die Fülle an medialen Eindrücken zu verarbeiten, die ständig auf uns einprasseln.

Langeweile ist in diesem Sinne eine Form der Meditation. Nichts-Tun ist ja per se schon eine meditative Praxis, die uns hilft, zur Ruhe zu kommen und unsere Gedanken zu ordnen. Es ist eine Zeit, in der wir nicht produktiv sein müssen, sondern einfach sein dürfen.

Persönlich nutze ich beispielsweise Flugreisen bewusst für solche Momente. Anstatt mich mit Filmen oder anderen Ablenkungen zu beschäftigen, sitze ich einfach da und lasse meine Gedanken schweifen. Ohne Ziel. Ohne Aufgabe. Diese bewusst gewählte Langeweile ist erstaunlich wohltuend und oft überraschend produktiv.

Muster auf der Straße

Vielleicht sollten wir Langeweile wieder Raum in unserem Leben geben. Statt sie zu fürchten, sollten wir sie als Chance begreifen. Probieren Sie es aus: Legen Sie bewusst Ihr Smartphone beiseite. Setzen Sie sich in einen Park, ans Fenster oder einfach auf Ihr Sofa — ohne Musik, ohne Buch, ohne Ablenkung. Lassen Sie Ihre Gedanken schweifen und beobachten Sie, was passiert.

Sie werden überrascht sein, welche Kreativität sich entfaltet und welche innere Ruhe sich einstellt, wenn Sie Ihrem Geist die Freiheit geben, zu wandern. Neue Perspektiven eröffnen sich nach einer langen Weile (sorry fürs Wortspiel) von ganz alleine und vielleicht entdecken Sie sogar verborgene Talente oder Interessen.

Es kommt mir gerade selbst sonderbar vor, aber eigentlich beschreibe ich mit Langeweile einfach nur einen Zustand, in dem man frei von Verpflichtungen ist. Wenn man dies aktiv entscheidet, so spricht man von Muße.

Geschieht es ungewollt oder fremdbestimmt, nennt man es Langeweile. Die Fähigkeit, Langeweile in Muße zu verwandeln, könnte deshalb ein Schlüssel sein und vielleicht ist das wirklich bloß eine Frage der Einstellung. Oder des Mindsets wie man heutzutage sagt.

ˈmuːsə

Muße lässt sich als eine Form der freien, selbstbestimmten Zeit definieren, die nicht durch äußere Zwänge oder Verpflichtungen bestimmt ist. Es ist ein Zustand, in dem man die Freiheit hat, sich Tätigkeiten oder Gedanken zu widmen, die man als persönlich bereichernd empfindet.

Machen Sie Langeweile zu Ihrem Verbündeten. Üben Sie sich darin, nichts zu tun. Schenken Sie sich die Zeit und den Raum, die Ihre Gedanken brauchen, um zu florieren und zur Ruhe zu kommen.

Wenn ich so etwas schreibe, klinge ich wie ein komischer Guru, der schlaue Tipps gibt. Aber ich schreibe es auch auf, um mich selbst zu motivieren, genau das zu tun. Denn es stimmt mich traurig, dass das Handy inzwischen scheinbar an den Körper angewachsen ist und die sozialen Medien ein fester Bestandteil unseres Lebens geworden sind.

Als Fotograf bin ich mir der Bedeutung von Kreativität besonders bewusst. In einer Welt, in der Instagram und andere soziale Medien von Bildern überschwemmt werden, ist es eine Herausforderung, nicht einfach dem Mainstream zu folgen. Um wirklich einzigartige und aussagekräftige Fotografien zu schaffen, muss ich bei mir selbst sein und mich auf mein eigenes künstlerisches Schaffen konzentrieren können.

Die Kraft der Langeweile

Langeweile könnte hier ein Schlüssel sein. Sie gibt mir den Raum, meine eigene Vision zu entwickeln, frei von den Einflüssen und Trends, die uns täglich umgeben. In diesen Momenten der scheinbaren Untätigkeit entstehen oft gute Ideen für neue Themen oder konzeptionelle Ansätze.

Langeweile ermöglicht es mir, tiefer in meine Kreativität einzutauchen und Werke zu schaffen, die wirklich meine eigene künstlerische Stimme widerspiegeln.

Formen, die ich in Wien fand

Die Bilder zu diesem Artikel habe ich in Barcelona, Porto und Wien gemacht, als ich mich bewusst gezwungen habe, andere Blickwinkel zu sehen und Dinge zu fotografieren, die normalerweise nicht beachtet werden.

In einer Welt, die ständig nach Aufmerksamkeit verlangt, kann gerade Langeweile eine nützliches Werkzeug sein.

Wer hätte das gedacht?

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