Eine Nahaufnahme einer Muschi
Was will uns der Künstler damit sagen?
Ich habe dieses Foto gemacht, weil ich mich viel mit dem Thema Aktfotografie, Sinnlichkeit und Ästhetik beschäftige. Wir sprechen über Frauen als das "schöne Geschlecht". Wir zeigen Körperformen, Brüste, Hintern und natürlich auch Gesichter. Aber die Muschi ist und bleibt ein Tabu.
In einer so freien westlichen Gesellschaft ist das auch heute noch der Fall. Die Muschi ist eine Privatangelegenheit, sollte man meinen.
Aber ich habe gelesen, dass es Frauen gibt, die sich ihre eigene Vagina noch nie angesehen haben. Dabei ist sie so schön.
Ich huldige der weiblichen Schönheit mit meiner Nahaufnahme. Eine solche Nahaufnahme ist überraschend und ungewöhnlich.
Die mehrfach vergrößerte Intimaufnahme erschreckt den Betrachter zunächst. Ich habe mich auch dabei ertappt, dass ich fast errötet bin, als ich mein Foto zum ersten Mal im Großformat betrachtete.
Es ist so tief in uns drin, dass es verboten ist, einen Blick darauf zu werfen. Ich denke, das ist gewaltig. Wahnsinn, oder?
Das Foto selbst war technisch schwierig zu machen. Lina lag entspannt auf einem Bett inmitten eines Gartens, während ich zwischen ihren Beinen kniete. Leider gibt es kein Foto hinter den Kulissen. Aber ich würde ziemlich blöd aussehen und zum Stereotyp des halbseidenen Fotografen passen. Mit einem langen Objektiv zwischen den gespreizten Beinen eines Models. Wie absurd ich mir dabei vorkam.
Es war das allererste Mal, dass ich ein solches Foto gemacht habe. Nach Hunderten von Aktshootings und mehr als 17 Jahren Erfahrung in diesem Bereich. Doch die technischen Herausforderungen brachten mich ins Schwitzen. Bei einem Makroobjektiv mit manuellem Fokus reicht die kleinste Drehung des Fokusrings am Objektiv aus, um den Fokus völlig durcheinander zu bringen.
Aber wo sollte der Fokus eigentlich liegen? Das musste ich schon beim Fotografieren beurteilen. Und sowohl die Schärfe als auch die gewählte Blende sind hier sehr wichtig, denn ich wollte kein medizinisches Bild erzielen. Auch die kleinste Veränderung des Winkels verändert das Bild völlig.
Es war auch eine Kunst, die Darstellung so hinzubekommen, dass sie nicht obszön, sondern rein ästhetisch bleibt. Nicht nüchtern, aber auch nicht pornografisch.
Ich interessiere mich für die Ästhetik und die Schönheit der Natur. Ich will nicht provozieren, aber ich will Fragen stellen.
Zum Beispiel, warum etwas, worauf alle Heteromänner scharf sind, tabu ist. Und ob wir uns nicht selbst belügen, wenn wir uns als eine freie Gesellschaft darstellen. Und was ist eigentlich so schlimm an diesem Anblick eines weiblichen Körperteils?
Zum Glück ist Lina eine weltoffene Frau. Ich konnte mit ihr im Vorfeld über die Fotoidee sprechen und habe sie gefragt, ob ich ein solches Bild machen darf. Sie hat zugestimmt, um der Kunst willen. Sie teilt auch meine Ansichten zu diesem Thema und würde sich eine Enttabuisierung wünschen.
Trotz allem war ihr auch bewusst, dass ein solch intimes Foto Kritik hervorrufen würde. Deshalb möchte ich mich bei ihr besonders für ihr Vertrauen und ihren Mut bedanken. Letztlich ist das Foto auch ein gutes Buchfinale, weil es die ultimative visuelle Offenbarung einer Frau an einen Mann darstellt. Das mag ein wenig theatralisch klingen, aber ein Bild wie das, das wir gemacht haben, bedeutet eben mehr als nur ein Oben-ohne-Foto.
Ich habe das Foto während der Arbeit an meinem Buch gemacht, aber ich wusste damals nicht, ob ich es überhaupt verwenden würde. Es musste in den Kontext passen. Ich wollte auf keinen Fall eine pornografische Darstellung schaffen, ein plumpes Bild.
Außerdem habe ich Lina das Bild auf meinem Laptop gezeigt, als wir uns persönlich trafen, und sie um ihre Meinung gebeten, und dann ein Jahr später noch einmal um die ausdrückliche Erlaubnis gebeten, es zu drucken. Ich bin mir der Sensibilität des Fotos bewusst.
Ich hatte mir vorher schon Gedanken darüber gemacht, wie ich so eine Nahaufnahme schön in eine Fotoserie integrieren könnte. Ich habe Pfingstrosen gekauft — Linas Lieblingsblume. Analog zu "Er liebt mich, er liebt mich nicht" pflückt Lina die Blütenblätter und lässt sie auf ihre eigene "Blume" fallen.
Ein Symbol für die Verbindung mit der Natur. Die Vagina wird auch "Blume des Lebens" genannt, weil in ihr Leben entsteht und durch sie geboren wird.
Ja, ich spreche vom Geschlechtsverkehr und der Geburt von Kindern.
Mit anderen Worten, etwas, ohne das keiner von uns existieren würde.
Die Analogien zwischen Blumen und dem weiblichen Geschlechtsorgan sind in der Kunst vielfältig. Beispielsweise gibt es Darstellungen von Frida Kahlo aus dem Jahr 1938 (Xóchitl) und 1943 (Flame Flower), die beide eine klare sexuelle Symbolik haben.
Oder Sexszenen des japanischen Malers Katsushika Hokusai (z. B. Adonis Plant aus dem Jahr 1815), bei dem die Vagina eindeutig im Mittelpunkt steht.
Es geht alles zurück bis in die Antike. Ich könnte also noch viele weitere Beispiele nennen.
Aber auf meinem Foto geht es nicht um Sex. Es geht auch nicht um Erregung. Ich zeige einfach die Ästhetik der Muschi. Ein appetitliches Bild mit angenehmen Farben und einer anziehenden Saftigkeit.
Ich habe lange an diesem Foto gearbeitet. Ich habe es anders zugeschnitten. Verkleinert, vergrößert und nachgedacht. Bis ich die Idee hatte, wie ich meine Gedanken über die Verbindung zur Natur visuell klarer zum Ausdruck bringen könnte. Ich habe das Foto invertiert und die Blütenblätter in eine grüne Farbgebung verschoben, um einen komplementären Kontrast und eine visuelle Verbindung zu den Fotos im Gartengrundstück zu erreichen.
Durch das Verschieben des Bildes habe ich einen Ausschnitt gefunden, in dem die Schamlippen optisch in die Blütenblätter am unteren Bildrand übergehen. Dies geschieht subtil, aber ich wollte nicht, dass es mein Bild dominiert.
Der Rahmen ist so breit, dass das Verhältnis der Nahaufnahme zum Rahmen dem Goldenen Schnitt entspricht. Auch der Bereich der Blütenblätter zu den Vulvalippen entspricht diesem Verhältnis.
Äußerst weiche und gut gewählte Transparenzen im unteren Bildbereich verstärken die Verbindung zwischen Vagina und Natur. Mit anderen Worten: Meine Darstellung der Natürlichkeit kann insgesamt als eine Art Schrein fürs weibliche Geschlecht angesehen werden.
Dieses Foto einer Muschi ist ein kleines Symbol der Rebellion und steht auch für weibliches Empowerment. Ich feiere die Freiheit, zeige tiefsten Respekt vor Offenheit und Mut und huldige der Ästhetik des weiblichen Geschlechts.
Ich habe Lina versprochen, das Foto nur für das Buch zu verwenden. Deshalb gibt es das Bild nicht auf meiner Website zu sehen. Im Buch finden Sie es natürlich unverpixelt.
Für mich persönlich bedeutet dieses Foto auch einen Abschluss mit der Vergangenheit, eine Art Übergang in eine neue künstlerische Welt, da meine Arbeit in Zukunft neuen Stilen und neuen Projekten gewidmet sein wird.
Nun ist dieser Artikel viel länger geworden, als er sein sollte. Dadurch erhält das Foto mehr Aufmerksamkeit als nötig. Stattdessen wünsche ich mir einfach überall (wie der Titel des Buchs verrät): mehr Gelassenheit!
