Kenopsia ist ein Begriff, der von John Koenig in seinem Buch The Dictionary of Obscure Sorrows geprägt wurde. Er bezeichnet die unheimliche, verlassene Atmosphäre eines Ortes, der normalerweise voller Menschen ist, nun aber menschenleer und verlassen daliegt. Es ist das Gefühl von Leere und Trostlosigkeit, das entsteht, wenn man einen Ort sieht, der nicht mehr von der Energie seiner Bewohner erfüllt ist.
Ohne den Begriff zu kennen, habe ich eine starke Erinnerung aus meiner Jugend an eine solche Szene. Ich war auf Klassenfahrt in London und wir übernachteten in einem Hotel, das direkt über der Paddington Station gebaut war. Der Hoteleingang war so angelegt, dass man vom Bahnhof nichts mitbekam.
Neugierig wie ich war, lief ich abends allein durch die prachtvolle Hotellobby. Vorbei an Marmorsäulen, eine Treppe hinunter. Und dann öffnete ich eine unscheinbare Tür. Ich hielt sie für einen Hinterausgang.
Plötzlich stand ich auf dem Bahnsteig der Paddington Station. Es war so surreal und unglaublich faszinierend. Unbewusst erlebte ich einen Übergangsraum wie diesen. Das ist ein stilistisches Mittel, das in Filmen oft verwendet wird, um in eine andere Welt einzutauchen.
Gleichzeitig üben verlassene Orte, an denen wir viel Leben erwarten, eine Faszination auf Menschen wie mich aus. Zum Beispiel eine belebte Kreuzung an einem Sonntagmorgen ohne ein einziges Auto. Ich bin nicht der Typ für Lost Places. Das ist mir eine Spur zu gruselig. Aber epische Orte ohne Menschen, vielleicht ein leerer Nachtclub als Beispiel, faszinieren mich ungemein.
Als Teenager war mir nicht bewusst, dass andere Menschen ebenfalls eine Faszination für solche Orte haben, aber heute weiß ich, dass das Gefühl sogar einen Namen hat: Kenopsia. Und Sie haben dieses Gefühl vielleicht selbst erlebt, wenn Sie die Titelbilder betrachten, die ich für meine Blogartikel fotografiere.