Berlin strahlt die entspannte Gelassenheit eines Mannes aus, der seinen künstlerischen Weg gefunden hat. Während ich ihn beobachte, wie er bedächtig durch sein Werk blättert, wird mir klar: Hier sitzt jemand, der die Fotografie nicht als Mittel zur Selbstdarstellung nutzt und für den Nacktheit nicht Zweck, sondern Ausgangspunkt ist.
Seine eigene fotografische Geschichte begann mit kindlicher Neugier: Die "Großen" liefen ständig mit diesen geheimnisvollen Apparaten herum, und als er selbst eine Leihkamera mit in den Kindergarten nehmen durfte, war die Aufregung groß.
Nach dem eifrigen Fotografieren wollte er natürlich sofort die Bilder sehen. Kurzerhand öffnete er die Kamera und zog den Film heraus — nur um dann völlig konsterniert festzustellen, dass keine Bilder zu sehen waren. Die Kamera musste kaputt sein, so seine kindliche Logik.
Aus dem frühen Technik-Debakel hat er gelernt: Bei seiner ersten "echten" Fotosession war später seine Schildkröte sein Modell. "Die war wenigstens geduldig", schmunzelt er.
Heute, mit 61 Jahren, lacht er über diese Anfänge. In seinem "kleinsten Studio der Welt", wie er sein Home-Studio in Bad Homburg augenzwinkernd nennt, entstehen Werke von bestechender Intensität.
Der wahre Durchbruch für sein aktuelles Projekt kam in einer lauen Sommernacht 2023 in Südfrankreich. Nach einem inspirierenden Gespräch mit Künstlerkollegen wusste er: Jetzt ist der Moment für das Buch — und Irina wird seine Protagonistin sein.
Die Energie dieses Moments war so mitreißend, dass er gleich am nächsten Morgen Irina kontaktierte. Wenig später saß sie bereits am Hotel-Pool in Arles, während sie gemeinsam am Laptop die Bilder des letzten Shootings durchgingen und fieberhaft Ideen für das Buchprojekt entwickelten. In solchen spontanen Momenten zeigt sich die besondere Chemie ihrer Zusammenarbeit.
Was folgte, war eine fotografische Reise durch Deutschland, Frankreich, die USA, Hong Kong, Slowenien und Italien. Dabei entstanden keine touristischen Schnappschüsse mit zufällig platziertem Modell, sondern sorgfältig komponierte Bilder, die zu spannenden Doppelseiten kombiniert wurden.
Das Ergebnis? Ein Bildband, der weit mehr ist als eine "Best-of"-Sammlung nackter Haut. "Auch wenn sie unbekleidet ist, ist sie eigentlich niemals nackt", sagt Berlin über Irina. Eine paradoxe Aussage, die beim Betrachten der Bilder vollkommen einleuchtet: Ihre natürliche Präsenz, frei von künstlichem Beiwerk wie aufwendigem Make-up oder künstlichen Nägeln, verleiht den Aufnahmen eine zeitlose, fast skulpturale Qualität.
Auch wenn sie unbekleidet ist, ist sie eigentlich niemals nackt.
Während unseres Gesprächs wird deutlich, wie sehr Berlin die Authentizität des Moments schätzt. Sein Arbeitsprozess ist dabei so unaufgeregt wie effektiv. Keine dröhnende Musik, kein hektisches Posing-Karussell. Stattdessen: Eine Stunde entspanntes Gespräch, gemeinsames Durchblättern von Fotobüchern, erst dann kommt die Kamera zum Einsatz. "Die besten Bilder entstehen oft dann, wenn der ursprüngliche Plan über den Haufen geworfen wird", verrät er.
Von der analogen Hasselblad 501 CM bis zur digitalen Fuji GFX100II, ist sein Kamera-Arsenal vielseitig. Mit einer klaren Vorliebe für das 50mm-Objektiv. Doch wichtiger als jedes Equipment ist ihm der Moment der Begegnung, der Dialog zwischen Fotograf und Model, der jedes Bild prägt.
Inspiration findet Berlin in der klassischen Malerei: Dürer, Vermeer, Caravaggio. Mit einer Mischung aus Bescheidenheit und Selbstironie gesteht er: "Wenn ich besser malen könnte, müsste ich nicht fotografieren." Dennoch plant er, demnächst einen Zeichenkurs zu belegen, nicht um die Fotografie aufzugeben, sondern um Posen besser skizzieren zu können.
Der beste Fotobuch-Rat, den er erhielt, kam von Wolfgang Zurborn: "Geh nicht nach dem, was Du über Dein Bild weißt, sondern nur nach dem, was andere darin sehen können."
Diese Philosophie spiegelt sich in seinem gesamten Werk wider. Sein persönlicher Favorit im Buch? Ein Schwarzweiß-Closeup von Irinas Gesicht mit ihren charakteristischen Händen — ein Bild, das bewusst mit der alten Regel "Hände weg vom Gesicht" bricht.
Das in einer Auflage von 200 Exemplaren erschienene Werk (144 Seiten, Fadenbindung) ist dabei keineswegs ein konventioneller Akt-Bildband. Vielmehr lädt es ein zu einer visuellen Reise, die jeden Betrachter in seine eigene Gedankenwelt führt. Das korallenrote Cover ist dabei mehr als nur Verpackung — es ist das erste Kapitel einer Geschichte, die jeder Betrachter für sich selbst weiterschreiben darf.