Ingo Rammer

Ingo Rammer

Auf Instagram bin ich auf einen Fotografen aufmerksam geworden, der unglaublich viele Fotos postet und da diese Fotos auch besonders schön sind, dachte ich, es wäre schön, wenn wir uns treffen könnten, damit ich ein Porträt über ihn schreiben kann. Gesagt, getan.

Lesezeit: 6 Min.

Mit 125 Shootings im Jahr 2022 und 68 Shootings von Januar bis September 2023 ist Ingo Rammer wahnsinnig aktiv. Wer ist dieser Mann? Woher nimmt er seine Motivation? Und wie arbeitet er mit Models?

Ingo Rammer und ich

Um das herauszufinden, lud ich Ingo ein und wir saßen an einem heißen Montagnachmittag Anfang September im Nizza Biergarten in Frankfurt. Ingo war mir sofort sympathisch und ich fragte mich, woran das lag. Es war sicherlich seine offene Art und seine positive Ausstrahlung. Aber auch die Tatsache, dass er ein geborener Österreicher ist und ich Österreicher mag, mag ein Eisbrecher gewesen sein.

Wenn ich mich mit einem anderen Fotografen treffe, habe ich immer ein bisschen Angst, weil ich nicht weiß, ob er etwas Interessantes zu sagen hat. Was ist, wenn er total langweilig ist? Oder ein totaler Angeber?

Ingo hat meine Bedenken sofort zerstreut. Er sprudelte nur so dahin und was er sagte, war faszinierend.

Kameras waren in seinem Leben von klein auf immer präsent. Er wuchs mit der Fotografie auf, weil sein Vater damals in Österreich eine Kette von Fotogeschäften aufbaute. Später waren es 120 Geschäfte, so dass er nie Probleme hatte, eine Ausrüstung zu bekommen. Kameras, Objektive, Filme und Filmentwicklung. Zu all dem hatte er immer Zugang, schon als Schuljunge.

Seit er 10 Jahre alt war, ging er praktisch nie ohne Kamera aus dem Haus. Er dokumentierte den Alltag, aber eher beiläufig, mit Schnappschüssen. Heute ist er glücklich, weil er fast der Einzige ist, der das Aufwachsen als Jugendlicher dokumentiert hat.

Mit der Pubertät wurde die Fotografie zweitrangig, aber mit 19 Jahren belegte er einen Kurs an der Volkshochschule. Seine Augen leuchteten, "der Kurs hieß sogar Licht". Licht ist das, was die Fotografie für ihn bis heute besonders macht. Er bezeichnet sich selbst als Lichtfetischist.

Die Art und Weise, wie Vincent Peters mit Licht arbeitet, ist für ihn göttlich. Doch obwohl Ingo immer wieder mit neuem Equipment experimentiert, arbeitet er am liebsten mit natürlichem, vorhandenem Licht. Horizontales Licht kommt ihm dabei sehr entgegen. Alles, was er braucht, ist ein Hotelzimmer und ein großes Fenster.

© Ingo Rammer

Vor einiger Zeit fand Ingo heraus, dass er einer der wenigen Menschen mit Aphantasie ist. Aphantasie bezeichnet das Phänomen der mangelnden visuellen Vorstellungskraft. Was für einen Fotografen zunächst kontraproduktiv klingt, hat der 44-Jährige für sich in etwas Positives verwandelt.

Sie gibt ihm die Möglichkeit, unvoreingenommen an die Aufnahmen heranzugehen. Er hat keine Vorstellung davon, was er produzieren will oder gar muss. Stattdessen kann er sich ganz auf das Motiv einlassen und das einfangen, was ihm ein Modell vor der Kamera bietet.

Ungläubig fragte ich ihn, wie das funktioniere, denn ich habe schon oft Models gesehen, die ohne meine Anweisungen nichts taten und wie angewurzelt auf der Stelle standen, wie ein Baum im Wald.

Ingo hat mir seinen Trick verraten: Er benutzt das Klicken des Auslösers, um den Rhythmus der Bewegung zu steuern. Normalerweise ändert ein Model seine Pose, sobald es das Klicken der Kamera hört. Jetzt schießt er einen Tick schneller, als das Model sich bewegen kann, um sie aus ihrer Komfortzone herauszuholen, so dass sie aufhört, Standardposen zu liefern.

Auf diese Weise gelingt es ihm, echte Momente einzufangen, vorzugsweise in Bewegung. Nonverbal bestimmt er den Rhythmus des Shootings — wie ein Metronom — bis er einen Flow spürt. Dabei lässt er auch dann los, wenn er weiß, dass es kein gutes Bild zu sehen gibt, nur um in genau diesen Fluss und Rhythmus zu kommen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei seinen Aufnahmen ist die Musik. Es kann passieren, dass er einen einzigen Song zig Mal hintereinander spielt, wenn das Model diesen Song gefühlt hat und sich gut dazu bewegen kann.

Es ist aber kein Schema F, das er hier anwendet, sondern er versucht, sein Gegenüber zu lesen und sich jedes Mal aufs Neue auf die Person einzustellen. Gerade bei der Arbeit mit Amateurmodellen ist es ihm wichtig, dass es ihnen gelingt, die Kamera zu vergessen. Sie sollen nicht daran denken, fotografiert zu werden.

© Ingo Rammer

Da er mit jedem Modell ein etwa einstündiges Telefongespräch führt, bevor sie sich überhaupt treffen, ist es für ihn einfacher, sich auf das jeweilige Modell einzustellen und zu lernen, was es für ein befreites Posing braucht.

So kann er auch Lockerungsübungen wie "Hands on, Hands off" aus dem Ballett einsetzen, bei denen in verschiedenen Phasen nur bestimmte Körperteile, aber keine Hände bewegt werden dürfen. Wenn man sich darauf konzentrieren muss, zum Beispiel nur die Schultern, aber nicht die Hüften zu bewegen, vergisst man spielerisch sehr schnell alles andere um sich herum, verrät mir Ingo.

© Ingo Rammer

Als ich Ingo nach Vorbildern frage, hat er nicht sofort eine Antwort parat. Er liebt die Fotografie und es gibt nicht einen Fotografen, den er nachahmen möchte. Aber er besitzt viele Bildbände und schätzt Fotografen wie Stefan Rappo, Ellen von Unwerth und besonders die Arbeit von Sante d'Orazio.

Ich war etwas verblüfft, als ich erfuhr, dass Ingo erst während der Pandemie wieder richtig mit der Fotografie angefangen hat. Und erst seit letztem Jahr weg von der Boudoir-Fotografie, hin zu Akt-Shootings. Warum sollten es Aktfotos sein?

Weil Frauen schön sind.

Fotografiere nie etwas, was dich nicht interessiert, ist Ingos Credo.

Und wie das Licht auf den Körper einer Frau fällt, inspiriert ihn einfach. Er liebt die Schwarz-Weiß-Fotografie und Kontraste. Er hat seine Sony A7RV auf Schwarz-Weiß eingestellt, damit er die Welt in Schwarz-Weiß sehen kann, wenn er fotografiert. Das ist für ihn wichtig, damit ihm kein Detail entgeht und er nicht durch Signalfarben wie Rot abgelenkt wird.

© Ingo Rammer

Da er eine große Person ist und gerne auf Augenhöhe fotografiert, nutzt er auch oft das klappbare Display der Kamera und vertraut auf den guten Autofokus der Sony Kamera. Sein Lieblingsobjektiv ist das Sony Zeiss 50mm Objektiv mit einer Anfangsblende von f/1.4.

Er schätzt dieses Objektiv, weil er den Blendenring gerne manuell bedient. Direkt am Objektiv, so wie früher. Derzeit experimentiert er viel mit geringer Bewegungsunschärfe, indem er über eine benutzerdefinierte Einstellung spontan auf 1/20s Belichtungszeit umschaltet.

Nach etwa 2000 Fotos in 3 Stunden sind seine Aufnahmen vorbei. Die Arbeit danach gehört nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Er ist dankbar, dass er in Schwarz-Weiß fotografieren kann. Das erspart ihm in der Regel die Hautretusche, da er seine Bilder mit Körnung versieht.

© Ingo Rammer
© Ingo Rammer

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Ingo seine Vorauswahl ein paar Monate liegen lässt, bevor er eine endgültige Auswahl trifft. Er möchte die Fotos einfach unvoreingenommen betrachten und sich nicht daran erinnern, was er genau gesehen hat, als er auf den Auslöser drückte. Auf diese Weise kann er die Aufnahmen neutral betrachten.

Natürlich macht Ingo auch Fotos, um gesehen zu werden. Das ist seine größte Motivation und deshalb hat er auch seine eigene Patreon-Seite. Schaut unbedingt mal rein!

Vielen Dank, Ingo, für das interessante Gespräch. Es hat mich sehr gefreut, deine Arbeitsweise kennenzulernen und ich freue mich auf ein Wiedersehen mit dir.

Ingo Rammer

Ingo Rammer

Geboren 1979, lebt Ingo in Karlsruhe und arbeitet leidenschaftlich in ganz Europa.

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