ISO 12.800: Eine Bestätigung aus Hollywood

ISO 12.800: Eine Bestätigung aus Hollywood

Die Nachricht aus der Filmbranche kam überraschend: Der neue Bob-Dylan-Film "A Complete Unknown" wurde mit ISO 12800 gedreht. Was für viele nach technischem Wagnis klingen mag, war für mich als Fotograf eine willkommene Bestätigung.

Lesezeit: 3 Min.

Jahrelang beschlich mich bei meinen Shootings immer wieder der Gedanke, ob ich nicht doch mehr Equipment einsetzen sollte. Ob meine Vorliebe für natürliches Licht vielleicht zu minimalistisch sei. Ich fragte mich, ob ich mich trauen sollte, häufiger durch negative Fill gezielt abzuschatten. Und ob meine Entscheidung, einen Tiffen Glimmer Glass permanent auf der Linse zu haben, wirklich der richtige Weg war.

Und dann kommt Kameramann Phedon Papamichael und dreht einen Hollywood-Film genau nach dieser Philosophie. Mit minimalem Lichtaufbau, hoher ISO und dem bewussten Ziel, dem sterilen Digital-Look zu entfliehen. Er ging sogar so weit, den fertigen Film auf analoges Material zu über­tragen und wieder zurück zu digi­talisieren — nur um diese gewisse Seele in den Bildern zu erzeugen.

Wie krass ist das bitte? Eine echte Bestätigung, wenn einer der ganz Großen der Filmbranche genau diesen Weg einschlägt. Weniger Technik, mehr Gefühl. Gezielte Licht­wegnahme statt komplexer Aufbauten. Und vor allem: keine Angst vor hohen ISO-Werten.

Die Arbeit mit ISO 12.800 eröffnet dabei ganz praktische Vorteile: Sie ermöglicht es, mit höheren Blenden­werten zu arbeiten und damit eine größere Schärfentiefe zu erreichen. Mehr Elemente im Hinterg­rund bleiben scharf, ohne dass zusätz­liches Licht gesetzt werden muss. Der minimalistische Ansatz bei der Beleuchtung schafft dabei eine authen­tischere Atmosphäre. Ist zudem viel schneller und kosten­günstiger in der Produktion.

Aber 12.800 ist schon eine ziemliche Haus­nummer. Bei meiner Flipper-Serie habe ich nur mit ISO 6.400 gearbeitet. Auch schon sportlich. Aber ohne Grain sehen die Bilder irgendwie zu künstlich, seelenlos und fade aus. Hier ein Beispiel mit ent­rauschtem Motiv.

Mit KI entrauscht — zu künstlich für meinen Geschmack

Es führt mich zu den Gedanken über Grain in Bildern, die ich schon häufiger in Blog-Artikeln hier besprochen habe. Was macht Grain eigentlich besonders? Löst es ein nostalgisches Gefühl aus, das nur wir Menschen, die vor dem Jahr 2000 geboren sind, empfinden können?

Aber was macht Unperfektheit so besonders?

Die Antwort geht tiefer als pure Nostalgie: Wenn wir Grain in Bildern sehen, triggert das in unserem Gehirn sofort eine Art Authentizitäts-Reflex. Über Jahrzehnte haben wir gelernt, dass körnige Bilder für echte, ungefilterte Momente stehen. In Zeiten von KI-Bildern und super-cleanen Instagram-Feeds wirkt diese technische "Unvollkommenheit" wie ein Echtheits-Zertifikat.

Und Grain macht noch was anderes mit uns: Es zwingt unser Gehirn zum Mitspielen. Ähnlich wie bei einem leicht verschwommenen Gemälde müssen wir die feinen Details selbst ergänzen und genau das zieht uns voll ins Bild rein. Diese subtile Verhüllung plus die zeitlose Qualität, die wir mit Film-Grain verbinden, hebt das Motiv irgendwie über den Alltag hinaus. Weg von der perfekten digitalen Wiedergabe, hin zu etwas Gefühlvollerem.

Das erklärt auch, warum selbst die Generation Z, die nie analog fotografiert hat, total auf diesen Look abfährt.

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