Jahrelang beschlich mich bei meinen Shootings immer wieder der Gedanke, ob ich nicht doch mehr Equipment einsetzen sollte. Ob meine Vorliebe für natürliches Licht vielleicht zu minimalistisch sei. Ich fragte mich, ob ich mich trauen sollte, häufiger durch negative Fill gezielt abzuschatten. Und ob meine Entscheidung, einen Tiffen Glimmer Glass permanent auf der Linse zu haben, wirklich der richtige Weg war.
Und dann kommt Kameramann Phedon Papamichael und dreht einen Hollywood-Film genau nach dieser Philosophie. Mit minimalem Lichtaufbau, hoher ISO und dem bewussten Ziel, dem sterilen Digital-Look zu entfliehen. Er ging sogar so weit, den fertigen Film auf analoges Material zu übertragen und wieder zurück zu digitalisieren — nur um diese gewisse Seele in den Bildern zu erzeugen.
Die Arbeit mit ISO 12.800 eröffnet dabei ganz praktische Vorteile: Sie ermöglicht es, mit höheren Blendenwerten zu arbeiten und damit eine größere Schärfentiefe zu erreichen. Mehr Elemente im Hintergrund bleiben scharf, ohne dass zusätzliches Licht gesetzt werden muss. Der minimalistische Ansatz bei der Beleuchtung schafft dabei eine authentischere Atmosphäre. Ist zudem viel schneller und kostengünstiger in der Produktion.
Aber 12.800 ist schon eine ziemliche Hausnummer. Bei meiner Flipper-Serie habe ich nur mit ISO 6.400 gearbeitet. Auch schon sportlich. Aber ohne Grain sehen die Bilder irgendwie zu künstlich, seelenlos und fade aus. Hier ein Beispiel mit entrauschtem Motiv.
Es führt mich zu den Gedanken über Grain in Bildern, die ich schon häufiger in Blog-Artikeln hier besprochen habe. Was macht Grain eigentlich besonders? Löst es ein nostalgisches Gefühl aus, das nur wir Menschen, die vor dem Jahr 2000 geboren sind, empfinden können?
Aber was macht Unperfektheit so besonders?
Die Antwort geht tiefer als pure Nostalgie: Wenn wir Grain in Bildern sehen, triggert das in unserem Gehirn sofort eine Art Authentizitäts-Reflex. Über Jahrzehnte haben wir gelernt, dass körnige Bilder für echte, ungefilterte Momente stehen. In Zeiten von KI-Bildern und super-cleanen Instagram-Feeds wirkt diese technische "Unvollkommenheit" wie ein Echtheits-Zertifikat.
Und Grain macht noch was anderes mit uns: Es zwingt unser Gehirn zum Mitspielen. Ähnlich wie bei einem leicht verschwommenen Gemälde müssen wir die feinen Details selbst ergänzen und genau das zieht uns voll ins Bild rein. Diese subtile Verhüllung plus die zeitlose Qualität, die wir mit Film-Grain verbinden, hebt das Motiv irgendwie über den Alltag hinaus. Weg von der perfekten digitalen Wiedergabe, hin zu etwas Gefühlvollerem.