Wenn ich über das Kreativloch spreche, meine ich wirklich nur diese Dinge. Ich spreche nicht über echte Depressionen (heutzutage Burn-out genannt, weil es besser klingt). Ich spreche also nicht von Zuständen, in denen man nicht mehr aus dem Bett aufstehen möchte und wirklich den Sinn des Lebens anzweifelt. Solche Situationen werden irgendwann immer schlimmer und der einzige Ausweg ist dann, eine Psychotherapie zu beginnen.
Das Kreativloch, aus dem ich Ihnen helfen kann, ist eher eine Kreativkrise. Ich habe sie mehrmals erlebt. Jedes Mal, wenn ich einen Bildband veröffentlicht habe. Diese Projekte sind riesig. Es gibt enorme finanzielle Investitionen in die Shootings, die Buchproduktion und auch der Vertrieb macht viel Arbeit.
Nachdem ich ein Buch veröffentlicht hatte, dachte ich sofort: Du wirst nicht noch einmal ein so großes Projekt machen, oder? Kombiniert mit der Angst, ob ich wirklich wieder so gute Fotos machen könnte. Das zweite Buch war bereits besser als das erste. Wie soll ich das noch übertreffen?
Also besteht vorerst eine Leere. Und es braucht Zeit, sich damit abzufinden. Aber vielleicht hilft es zu wissen, dass Sie nicht der Einzige sind, der ab und zu eine Kreativkrise hat. Und deshalb schreibe ich meine Methoden auf, um da rauszukommen. Das sind keine universellen Tipps, aber sie funktionieren für mich.
Analyse
Versuchen Sie zunächst zu verstehen, warum die Krise existiert. Ist es die Routine? Immer das Gleiche tun? Vielleicht brauchen Sie einfach etwas Neues. Abwechslung.
Oder ist es die Angst vor negativem Feedback? Nicht die Aufmerksamkeit zu bekommen, nach der Sie sich sehnen? Wir alle brauchen Bestätigung, und soziale Medien bringen uns dazu, uns immer mehr zu vergleichen, was unser kreatives Künstlerherz verletzt. Es passiert schnell, dass ein Druck entsteht, nicht mithalten zu können. Oder das Gefühl, dass alle anderen besser sind als man selbst.
Ich würde immer empfehlen, diese Gefühle aufzuschreiben. Und zwar mit einem Stift auf einem Blatt Papier. Von Hand also. Ich bin ein großer Fan dieser Methode, weil ich überzeugt bin, dass diese Art des Schreibens unserem Gehirn besser entspricht. Das sind nur meine eigenen Erfahrungswerte, und darum geht es in meinem Artikel. Persönliche Tipps, keine wissenschaftlichen Erklärungen.
Ihre ersten 10.000 Fotografien sind Ihre schlechtesten.
Henri Cartier-Bresson
Start
Ein Freund von mir sagte einmal: "Jeder Anfang ist ein Beginn". Das klingt an sich albern. Aber genau darauf kommt es an. Man muss etwas tun, um voranzukommen. Wenn Sie zum Beispiel Musiker werden wollen, sollten Sie viel Zeit damit verbringen, an einem Instrument zu üben. Das macht Sinn. Warum also nicht das Gleiche als Fotograf tun?
Es ist unmöglich, die Kamera hochzuheben und dieses eine grandiose Foto zu machen. Das Geheimnis hinter allen, die wir bewundern, ist, dass sie viel tun. Es spielt keine Rolle, ob sie Modedesigner, Köche oder Sportler sind. Sie trainieren alle unglaublich hart, um etwas Großartiges zu leisten.
Und sie probieren Dinge aus. Kombinieren ungewöhnliche Materialien, probieren neue Gerichte aus oder lernen neue Tricks mit einem Ball. Der Alltag ist also das Trainingsgelände. Und Übung macht den Meister, wie wir alle wissen.
Motivation
Das klingt in der Theorie schön, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, könnten Sie sagen. Und genau diese Momente habe ich viele Male erlebt. Zum Beispiel würde ich gerne viel mehr Models fotografieren, aber ich kann es mir nicht leisten, ständig Locations zu mieten und Modelgagen zu bezahlen. Leider habe ich auch keine Muse.
Also wird ein neues Projekt benötigt. Das ist mein Geheimnis. Ich hole mir Motivation, indem ich Projekte für mich selbst erschaffe. Wenn mich niemand darum bittet, dann mache ich es eben selbst.
Ich gebe ein Beispiel. Vor ein paar Jahren suchte ich am Straßenrand nach Hydranten und fotografierte sie. Das erschien mir zunächst sehr albern. Ich fühlte mich regelrecht dumm. Auch wie die Leute guckten, als ich vor einem Hydranten kniete, um ein Foto zu machen.
Aber als ich die ersten zehn Bilder zusammen hatte — eine internationale Mischung — bekam ich wirklich eine Beziehung zu diesen Hydranten. Einige waren mir ans Herz gewachsen. Ich erinnerte mich an die Orte, wo ich sie fand. Und als Serie wirkten sie ziemlich schön.
Diese Hydrantenfotos sind nirgendwo erschienen. Nie veröffentlicht worden. Heute zeige ich sie zum ersten Mal auf meinem Blog. Aber sie haben mir aus meinem Kreativloch geholfen und ich habe von ihnen gelernt, seriell zu denken.
Projekte
Wozu sind solche Projekte gut? Am Anfang ist es nur eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, um Sie in Gang zu bringen. Aktiv zu bleiben, um dem Kreativloch zu entkommen. Dann wird es eine Leidenschaft. Und vielleicht wird es später eine Ausstellung sein. Oder eine Collage. Oder einfach eine Ergänzung des eigenen Portfolios.
Struktur
Ich brauche immer Ordnung in meiner Arbeit. Äußere Ordnung sorgt bei mir für innere Ordnung.
Andere sprechen gerne von kreativem Chaos, wenn sie an ihrem Schreibtisch in einem Haufen von Papierstapeln und viel Kram sitzen.
Das mag bei anderen funktionieren. Ich kann das nicht. Und das ist wichtig zu erkennen. Es gibt nicht den einen kreativen Menschentyp. Menschen sind unterschiedlich. Für mich sind Struktur und Ordnung essenziell.
Struktur ist auch unglaublich hilfreich beim seriellen Arbeiten. Warum sollte man überhaupt seriell arbeiten? Ganz einfach: Es hilft anderen Menschen, unsere Arbeit zu verstehen. Wenn sich in allen unseren Bildern blaue Objekte finden, erkennt der Betrachter dies und schafft eine Verbindung. Sie werden in seinem Kopf gruppiert und das bedeutet, dass er die Serie als solche akzeptiert hat.
Deshalb versuche ich immer, Struktur in meine Projekte zu bringen.
Brainstorming
Wenn Sie keine Lust haben, Hydranten zu fotografieren, kann ich das verstehen. Das war nur ein Beispiel. Wie kommt man am besten auf Ideen? Ich würde wieder Notizen machen. Ein Ritual daraus machen. Ich falte immer ein DIN-A4-Blatt in der Mitte, sodass es ein DIN-A5-Blatt wird. Diese Größe ist mir für meine Ideen viel sympathischer. Eine Marotte? Sicherlich. Aber es funktioniert, solche Rituale zu haben.
Auf dem Papier schreibe ich Dinge auf. Ich liste meine Ideen ungefiltert auf. Das macht es mir im nächsten Schritt leichter, dumme Ideen zu streichen. Ein paar gute Ideen bleiben übrig. Oder fast gute Ideen, die mit einer kleinen Änderung später zu guten Ideen werden können. Also keine Angst vor dummen Ideen.
Aber woher kommen Ideen?
Man muss in einem entspannten Zustand sein, um auf Ideen zu kommen. Das wissen wir, glaube ich, alle. Wir sind unter der Dusche und plötzlich haben wir eine Idee. Es sind die Momente, in denen wir uns mit Tätigkeiten beschäftigen, die unser Gehirn nicht überfordern. Das ist der Zustand, in dem das parasympathische Nervensystem im Gehirn vorherrscht. Einfach ausgedrückt: entspannte Zustände.
Das kann beim Autofahren auf offener Straße passieren. Oder in der Badewanne. Beim Schwimmen. Oder bei langen Spaziergängen. Wichtig ist, dass Sie wirklich abschalten. Kein Handy gleichzeitig, kein Podcast in den Ohren. Einfach nichts tun. Langeweile. Oder wie man früher sagte: Muße zelebrieren.
Keine Angst haben
Sie sollten keine Angst haben. Vielleicht setzen Sie sich ein Zeitlimit. Ich fotografiere zum Beispiel keine Hydranten mehr. Aber ich habe ein neues Projekt. Es hat nichts mit Aktfotografie zu tun. Das bedeutet nicht, dass ich mich in irgendeiner Weise verändern möchte. Aktfotografie bleibt meine größte Leidenschaft. Aber ich möchte kreativ bleiben, mich entwickeln und Dinge ausprobieren.