Die Fibonacci-Folge beschreibt eine unendliche Folge natürlicher Zahlen. Die Summe zweier aufeinanderfolgender Zahlen ergibt die unmittelbar darauffolgende Zahl: 0, 1, 2, 3, 5, 8, 13, ...
Erstaunlicherweise handelt es sich hierbei um ein Wachstumsmuster der Natur, das beispielsweise in der Anordnung der Kerne einer Sonnenblume zu sehen ist. Auch Kaninchen vermehren sich nach diesem Prinzip.
Je weiter man in der Folge dieser Zahlen fortschreitet, desto näher kommt man dem goldenen Schnitt, z.B. 55:34 ≈ 1,6176.
Das heißt, der Mensch kennt die Fibonacci-Folge und den goldenen Schnitt als bekannte Proportionen, die in der Natur vorkommen. Wir empfinden sie als harmonisch. So habe ich das an der Akademie der Bildenden Künste gelernt.
Aus meiner Sicht lässt sich dieser Mythos jedoch anzweifeln, denn wenn man mathematisch nachrechnet, stellt man schnell fest, dass selbst da Vincis „homo vitruvianus" nur annähernde Proportionen aufweist und der goldene Schnitt eher Wunschdenken als Realität ist.
Was bedeutet das für unsere Kompositionsregeln?
Der Umkehrschluss, dass es nicht wirklich darauf ankommt, in welchen Proportionen Objekte in einem Motiv platziert werden, wäre natürlich falsch. Eine Proportion des goldenen Schnitts wird tatsächlich von uns Menschen als harmonisch empfunden. Wir nehmen es nur mit den exakten Proportionen nicht so genau und haben eine hohe Toleranzgrenze.
Die gute alte Drittel-Regel macht das ziemlich gut. Vereinfacht gesagt ist es langweilig, eine Person immer in die Bildmitte zu setzen. Wir möchten überrascht werden. Eine spannende Bildserie beinhaltet Variationen in der Komposition. Und als Faustregel kann man das Bild in drei Spalten unterteilen und sein Motiv dann entweder am linken oder rechten Rand der mittleren Spalte platzieren.
Viele der modernen Kameras bieten hierfür Hilfslinien an. Sie können ein Raster anzeigen, das z.B. die Drittel-Regel zeigt, während Sie durch den Sucher schauen. Alternativ können Sie dies später beim Zuschneiden des Bildes in der Nachbearbeitung verfeinern. In jedem Fall ist es hilfreich, beim Fotografieren sowohl Komposition als auch Proportionen zu berücksichtigen.
Aber wenn ich Fotos mit einer Fibonacci-Spirale über dem Motiv sehe, um die großartige Komposition zu feiern, verdrehe ich die Augen. Das ist albern. Kein Fotograf denkt beim Fotografieren darüber nach, wie eine Spirale das Auge durch ein Bild führen wird. Nicht einmal die Pedanten tun das.
Viel wichtiger ist es, immer das ganze Bild zu beobachten und die Beziehung zwischen den Dingen zu sehen. Dieses Nachdenken über die Komposition eines Bildes fasziniert mich sehr und ich wende es bei jedem Shooting an. Ehrlich gesagt gibt es kein einziges Foto von mir, bei dem ich nicht über die Komposition nachgedacht hätte, bevor ich auf den Auslöser drückte.
Aus meiner Sicht ist die Kompositionslehre von grundlegender Bedeutung. Sie erzeugt Spannung im Bildaufbau, z.B. durch die Einbeziehung von Vorder- und Hintergrund und schafft so den Eindruck von Tiefe in einer Fotografie. Oder einfach nur dafür zu sorgen, dass kein Objekt wie eine Antenne aus dem Kopf Ihres Motivs wächst. Ein Gleichgewicht zwischen größeren und kleineren Objekten zu haben und den Dingen, die Sie in einem Bildausschnitt zeigen und verbergen.